Samstag, 22. November 2014

Schon fast Tico



Ende August mit dem Flugzeug in San José gelandet, fühle ich mich jetzt, dreieinhalb Monate später, in Costa Rica angekommen. Mittlerweile bin ich in meinem Alltagsrhythmus drin und alles hat sich mehr oder weniger normalisiert. Gleichzeitig ist schon über die Hälfte meines Aufenthalts vorüber, die Tage vergehen schnell und summieren sich zu Wochen, die Wochen zu Monaten. Die Zeit rast und ich will nicht in diesem Alltagssumpf einsinken, obwohl es wahrscheinlich zum Prozess der Integration dazugehört. 
Ok gut, etwas relativiert bin ich vom Alltagssumpf noch weit entfernt, wenn ich auf den letzten Monat zurückschaue. Vier Tage in Nicaragua, ein Wochenende in Limon und viele weitere kleinere Ausflüge. Ich lebe gut in Costa Rica. 


Freizeit:

Da die Kosten für den Lebensunterhalt im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern sehr hoch sind in Costa Rica, bringt mich mein momentaner Lebensstil an finanzielle Grenzen. Zumal man bei Touristenattraktionen als nicht Costa-Ricaner das drei-, vierfache an Eintritt zahlt. Jedoch lohnt sich die Investition meist und wie meine Gastmutter zu sagen pflegt, bin ich ja auch hier um meine Zeit zu geniessen und das mache ich auch. Besonders erwähnenswert vom letzten Monat ist der Ausflug nach Nicaragua mit AFS.

Am 16. Oktober fand ein viertägiges Midstaycamp in Granada (Nicaragua) statt. Mit Freunden von AFS (aus dem Halbjahresprogramm) und drei Camp-Leitern bin ich am Mittwochmorgen, bequem in einem Privatbus, über die Grenze gefahren. Die Erwartungen an die Unterkunft waren im Allgemeinen nicht hoch, die Biofarm vom Ankunftscamp war einigen noch gut in Erinnerung. Es war also eine angenehme Überraschung als wir das zentral gelegene Hotel mit Pool betraten. 

Die folgenden Tage verbrachten wir mit Ausflügen, Essen und relaxen. Das um einiges billigere Nicaragua hat viel zu bieten.





Vulkan Masaya in Nicaragua
Aktiver Krater des Vulkans Masaya

Süsswassersee in Granada (Nicaragua)

Laguna Catarina (Nicaraua)
In der nähe von Granada (Nicaragua) haben wir mehrere Affen entdeckt.



Die Tage vergingen blitzartig, gerne wären wir noch ein bisschen länger geblieben aber am Sonntag ging es wieder zurück nach Costa Rica. Ich behalte Nicaragua in bester Erinnerung. Unser Aufenthalt in der Touristenstadt Granada war aber auch ein bisschen trügend und so bleibt uns nur dieser einseitige Eindruck des ärmsten Landes Lateinamerikas. Ein Grund mehr Nicaragua nochmals zu bereisen. 


Arbeit:

Auch bei meiner Arbeit hat sich wieder einiges getan. Im Parque la Libertad bin ich nur noch Teilzeit (2-3 Tage) am Arbeiten, die restlichen Arbeitstage der Woche betätige ich mich im Casa de derechos. Es war ein Wunsch von mir noch einmal eine neue Herausforderung in Angriff zu nehmen, zumal ich mich immer selbstbewusster mit meinen Spanisch Kenntnissen fühle. So habe ich also zusammen mit Lidia nach einem Ersatz für die Arbeit im Bereich „Umwelt“ gesucht und bin so auf das Casa de derechos (Haus der Rechte) gestossen. 

An meinem neuen Arbeitsplatz bin ich in einem Bereich tätig, der sich mit Scheidungen und Rechtsstreit im Zusammenhang mit Gewalt befasst. Dabei häuft sich eine Menge an Dokumenten an und so kommen wir auch schon zu meinem Part, sortieren, Papiere falten und einräumen, darauf haben sich meine beiden ersten Arbeitswochen beschränkt. Es ist zwar wieder nicht sehr herausfordernd, aber ich habe einen komfortablen Bürostuhl und gesprächige Arbeitskollegen. Perfekt um meine Spanisch Kenntnisse noch zu verfeinern.


Familie:

In Nicaragua wurde mir bestätigt wie viel Glück ich mit meiner Familie habe. Leider machen nicht alle eine so sorgenlose Erfahrung wie ich, einige haben auch schon die Familie gewechselt/wechseln müssen. Ein guter Rückhalt ist definitiv massgebend für einen erfolgreichen und lohnenden Projekteinsatz. 
Der Alltag hat sich unterdessen etwas gesetzt mit meiner Gastfamilie und wir unternehmen nicht mehr so viel zusammen. Die Tage werden etwas ruhiger aber auch lockerer angegangen, da man sich mittlerweile auch schon sehr gut kennt. Auch kulturelle Barrieren sind kaum mehr zu spüren, so fühle mich zurzeit fast wie Zuhause aufgehoben.

Aus diesem Monat bleibt mir auf jeden Fall der gemeinsame Besuch einer reformierten Kirche im Gedächtnis. 
Die Messe, welche am Sonntagmorgen stattfand, wäre in der Schweiz wohl auch als Popkonzert durchgegangen. Mit stimmigen Songs zum Mitsingen brachte man die Leute in der Halle (es war wirklich eine Halle mit Bühne und komfortablen Stoffsitzen in Halbkreis-Anordnung/ für ca. 2000-3000 Personen) in die richtige Gemütslage. Nach einer vollen Stunde beendete die junge Band ihr Spiel und verliess unter lautem Applaus die Bühne. Es folgte der Prediger, ein kleiner Mann in den Vierzigern. Er erzählte von seinem Leben seinen Erfahrungen und wie er auf seine Art und Weise Gott für sich gefunden hat. Er bleibt dabei immer in der „Realität“ und spricht von Entscheidungen die er getroffen hat, oder eher welche Gott für ihn bestimmt hat. Nach der Predigt verabschiedete auch er sich mit einem Amen unter grossem Applaus. Zugleich war auch der Gottesdienst vorbei und die Menge verlies das Gebäude. 

Für mich war es eine ganz neue und anregende Form von Gottesdienst. Generell finde ich diese romantische und trotzdem ungezwungene Art zu Glauben, die viele Costa-Ricaner/-innen pflegen, sehr interessant. 


Meine Gastfamilie hat übrigens schon Ende Oktober das Haus weihnachtlich dekoriert. Die Weihnachtszeit beginnt hier schon viel früher und wird dann auch ausgiebig den ganzen Dezember gefeiert, zumindest in meiner Gastfamilie. Dabei ersetzt der kühle, erfrischende Wind vom Norden den fehlenden Schnee und versetzt die Ticos in Weihnachtsstimmung.

Wohnzimmer meiner Gastfamilie 25. Oktober.